Ich schreibe gerade einen englischen post über den Archbishop von Canterbury und seinen Vortrag über die Sharia. Aber eine deutschssprachige Anmerkung habe ich zuerst: mal abgesehen davon, daß die SPON-Berichterstattung gewohnt tendenziös und halbgar ist, toppt Broder das alles natürlich wieder einmal, indem er nicht nur nichts verstanden hat, sondern sich auch nicht die Mühe gegeben hat, sich zu informieren. Ein Beispiel:
Nur irrt sich der Bischof, wenn er glaubt, man könne eine Gesellschaft wie eine Betriebskantine organisieren, deren Benutzer die Wahl zwischen einem Fleischgericht und einen vegetarischen Menü haben. Ein wenig Scharia kann es genauso wenig geben wie ein wenig Schwangerschaft. Die Scharia regelt das ganze Leben, wer sie nur in Teilen übernehmen will, hat von der Zwangsläufigkeit, die ihr innewohnt, keine Ahnung. Es ist, als würde man in einem Freibad das Nacktbaden unter der Bedingung erlauben, dass jeder Besucher darüber entscheiden darf, welches Kleidungsstück er ablegen mag. […]
Da ein Teil der Migranten nicht willens oder nicht in der Lage ist, die Regeln der Gesellschaft anzunehmen, soll die Gesellschaft die Regeln der Migranten übernehmen. So kann “Integration” auch definiert werden – als ein Auftrag an die Mehrheit, sich der Minderheit anzupassen.
Wie hier nachzulesen ist, liegt Broder in so ziemlich jedem Detail daneben. Weder hat der verstanden, was Dr. Williams mit der Scharia meint, noch was für eine Art rechtliches Modell (das in britischer Jurisdiktion übrigens längst möglich ist und auch durchgeführt wird) sich der Erzbischof vorgestellt hat, und vor allem nicht, daß Dr. Williams die Einwände kennt und sie sorgfältig und nachdenklich bespricht. Er nennt Bedingungen, die einzuhalten die einzige Möglichkeit sind, solch eine Änderungen in der britischen Jurisprudenz einzuführen. Entsprechend wäre nach des Bischofs Plan keine einzige der von Broder aufgeführten “Schreckensszenarien” nach des Bischofs Plänen überhaupt möglich.
Wogegen argumentiert Broder also? Der Schlüssel liegt in seinem Bestehen auf dem Ausdruck “Migrant”. Dr. Williams, der durchaus problematische Meinungen vertritt, seit er Erzbischof ist, sieht, daß es hier darum geht, daß man ganze Gemeinden von Staatsbürgern hat, die nicht vom System erfaßt werden. Der Grund dafür ist unerheblich. Denn mit diesem Problem gilt es umzugehen. Herr Broder jedoch, der den gemeinen Moslem offensichtlich nach wie vor als Fremdkörper im Land begreift, kann das nicht verstehen, oder er will es nicht. Drum bläst er ins selbe Horn wie der rechte Flügel der CDU/CSU, die NPD und andere nette Parteien. Man möchte Broder immer wieder schütteln, bis er versteht, was er sagt, wenn er das Wort “Aufklärung” in den Mund nimmt, aber da ist wohl sowohl Hopfen als auch Malz verloren. Söder bringe ich Vernunft auch nicht mehr bei.
Und das Traurigste ist, daß bei dieser, na, man möchte fast: Kampagne sagen, auch die Presse hübsch mitmischt. So wie die Zeit, deren Titelbild unlängst übrigens wieder sehr *hust* hübsch war. In einem Kommentar war sie, im Gegensatz zu Broder, aber wenigstens ehrlich und gab zu, die Rede nicht verstanden zu haben (wobei ich bezweifle, daß sie sie gelesen hat):
Der Sinn des Vortrags, den er vergangene Woche vor 1000 Juristen hielt, erschließt sich selbst nach sorgfältiger Lektüre nur schwer.
Das hielt sie aber nicht davon ab, die Rede aufgrund zweier Sätze zu kritisieren, die “an Klarheit nchts übrig ließen”, die sie aber offensichtlich schlicht und ergreifend nicht verstanden hat:
Die Übernahme von Elementen der Scharia in britisches Recht bezeichnete Williams als “unvermeidlich”. Auch nannte er die Position, ein Rechtssystem für alle verbindlich zu erklären, “ein bisschen gefährlich”.
Peinlich, da die ZEIT sich auf den Vortrag bezieht. In einem am selben Tag gegebenen Interview drückte Dr. Williams sich weniger sorgfältig aus, aber das ist hier ja unerheblich. Im Vortrag sagte er erstens nicht, es IST unvermeidlich, sondern es SCHEINT unvermeidlich. Und zweitens sagte er das nicht absolut, sondern er formulierte es als teil einer wenn…dann Konstruktion. ‘Wenn wir sozialen Frieden wollen, dann scheint es unvermeidbar,…’
Das Verhalten der ZEIT und Broders in diesem Disput ist nichts weiter als eine weitere intellektuelle Bankrotterklärung. Hurra wir kapitulieren? Sicher. Vor der Vernunft, soweit es die Zeit und Broder betrifft. Für eine offene Gesellschaft ist dieser dem Bürgertum ins Ohr geträufelte Hass reines Gift.
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