Ehre Shmere

Malte S. Sembten liest bei Lizas Welt Gabriele Brinkmanns Krimi Ehre, wem Ehre… und legt ziemlich genau und gut dar, warum der ursprüngliche Verleger des Buches, Felix Droste, in einem taz-Interview erklärte, es laufe „einem kalt den Rücken herunter, wenn man es liest“.

Zufälle

Liza schreibt

Bei den Verwüstungen, die mehrere hundert Schülerinnen und Schüler am vergangenen Mittwoch in der Berliner Humboldt-Universität anrichteten, habe es sich, wie die „SchülerInnen-Initiative ‚Bildungsblockaden einreißen!’“ mitteilen ließ, „nicht um gezielte Taten“ gehandelt, „sondern um die Folge einer über lange Zeit aufgestauten Wut“. Das Bemerkenswerte an dieser Rechtfertigung ist die Selbstverständlichkeit, mit der der – nur scheinbaren – Wahllosigkeit der Angriffe auch noch grundlegendes Verständnis gezollt wird. Immerhin hatte sich die „aufgestaute Wut“ ja als regelrechte Raserei entpuppt, deren Besinnungslosigkeit die Masse erst zum Mob machte, der dann tatsächlich nicht mehr bewusst handelte, sondern sich gleichsam intuitiv austobte. Und genau diese Intuition bestimmte das gemeinschaftliche Handeln, das sich selbst Zweck war, sowie die Ziele und das Ausmaß der Zerstörung.

Deshalb ist es eben kein Zufall, dass die Ausstellung „Verraten und verkauft“ schwer demoliert wurde (Foto). Es ist kein Zufall, dass Porträts von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern – darunter das Bild einer von den Nazis ermordeten Mathematikerin – zertrümmert und Bücher aus dem Fenster geworfen wurden, ganz in der Nähe jenes Platzes, auf dem die Nationalsozialisten am 10. Mai 1933 die Bücherverbrennung ins Werk gesetzt hatten. Und es ist kein Zufall, dass „Scheiß Israel!“ gerufen wurde. Dass die Schooligans ihre zerstörerischen Aktivitäten auch noch vielstimmig mit „Anticapitalista“-Rufen untermalten und ihnen so das ideologische Gerüst gaben, fügt sich dabei perfekt ein: Wer seine Ressentiments – und um nichts anderes handelt es sich – ausgerechnet gegen eine Ausstellung über jüdische Unternehmen zur Zeit des Nationalsozialismus richtet, zeigt, wo er die Schuldigen, vulgo: „die Kapitalisten“, verortet und was er ihnen an den Hals wünscht.

und hat ausnahmsweise völlig Recht.

Blinde Hühner, Körner

Liza hat ausnahmsweise mal recht:

Es ist darüber hinaus bezeichnend, dass kaum ein Kommentator die Arbeitsdefinition des EUMC (European Monitoring Centre on Racism and Xenophobia) zum Antisemitismus heranzog, um Hecht-Galinskis Äußerungen und damit auch Broders Einschätzung zu beurteilen. Der Grund liegt auf der Hand: Nach dieser Definition, die den EU-Staaten eine offiziöse Richtschnur sein soll, werden unter anderem der Vergleich Israels mit dem Nationalsozialismus, die Dämonisierung des jüdischen Staates, der Vorwurf, Juden verhielten sich zu Israel loyaler als gegenüber den Staaten, in denen sie leben, sowie die Behauptung einer jüdischen Kontrolle der Medien und Politik als antisemitisch eingestuft – und damit fraglos auch Evelyn Hecht-Galinskis Statements. Als prominente jüdische Kronzeugin hätte sie also ausgedient. Und das wollen in Deutschland nur wenige – schließlich weiß selbst der Durchschnittsleser am besten, wer Antisemit ist. Und vor allem: wer nicht.

In Kölle Am Ring

Was für ein Saftladen. Nicht nur wendet sich zuerst die Kölner CDU gegen einen Ratsbeschluß, die Bevölkerungsmehrheit und die Vernunft, indem sie einen bereits beschlossenen und abgenickten Moscheebau behindert, jetzt gibt es ein ganz ähnliches Schmierentheater um das geplante jüdische Museum. Liza schreibt

Die Reaktionen auf den Siegerentwurf fielen durchweg positiv aus, auch bei den Stadtoberen. „Dankbar und froh“ war etwa Oberbürgermeister Fritz Schramma, dass „an dem historischen Platz, wie es ihn in dieser Konstellation nördlich der Alpen kein zweites Mal gibt“, eine Lösung gefunden wurde. Auch Kulturdezernent Georg Quander („mir fällt mit der Entscheidung ein Stein vom Herzen“) und Städtebaudezernent Bernd Streitberger („genial, eine fast poetische Architektur“) zeigten sich sehr zufrieden. Es schien, als seien alle Hürden überwunden, zumal der Förderverein zuversichtlich war, die Frage der Finanzierung – laut Schramma „eine schwierige Aufgabe, aber eine lösbare“ – schnell und erfolgreich zu klären. […]

Doch nur wenige Tage nach der Entscheidung wollten die politischen Verantwortungsträger Kölns plötzlich nichts mehr von ihrem ursprünglichen Urteil wissen. „Der Entwurf stellt einen Riesenkomplex dar, der so hoch ist wie das Rathaus“, klagte der Oberbürgermeister nun im Kölner Stadt-Anzeiger.

*

Schon wieder Broder

Broder spricht sehr eloquent und sehr treffend über Antisemitismus. Transkript bei Liza:

Der Antisemitismus, über den wir immer noch am liebsten reden,[…] ist, um mit Bebel zu sprechen, der Sozialismus der dummen Kerle, die noch immer einem Phantom nachjagen. […] Diese Art des Antisemitismus ist hässlich, aber politisch irrelevant, ein Nachruf auf sich selbst.

Der moderne Antisemit dagegen tritt ganz anders auf. Er hat keine Glatze, dafür Manieren, oft auch einen akademischen Titel, er trauert um die Juden, die im Holocaust ums Leben gekommen sind, stellt aber zugleich die Frage, warum die Überlebenden und ihre Nachkommen aus der Geschichte nichts gelernt haben und heute ein anderes Volk so misshandeln, wie sie selber misshandelt wurden. Der moderne Antisemit glaubt nicht an die „Protokolle der Weisen von Zion“, dafür fantasiert er über die „Israel-Lobby“, die Amerikas Politik bestimmt, so wie ein Schwanz mit dem Hund wedelt. […] Oder er dreht kausale Zusammenhänge um und behauptet, die atomare Bedrohung gehe nicht vom Iran, sondern von Israel aus […].

Der moderne Antisemit findet den ordinären Antisemitismus schrecklich, bekennt sich aber ganz unbefangen zum Antizionismus, dankbar für die Möglichkeit, seine Ressentiments in einer politisch korrekten Form auszuleben. Denn auch der Antizionismus ist ein Ressentiment, wie der klassische Antisemitismus es war. Der Antizionist hat die gleiche Einstellung zu Israel wie der Antisemit zum Juden. Er stört sich nicht daran, was Israel macht oder unterlässt, sondern daran, dass es Israel gibt. […]

Denn der moderne Antisemit verehrt Juden, die seit 60 Jahren tot sind, nimmt es aber lebenden Juden übel, wenn sie sich zur Wehr setzen.

Der Freund meines Feindes, nein, der Feind, nein, wie war das noch mal?

Albernes (wiedermal) bei Lizas Welt, wo die Autorin in einem Artikel über Frau Amirpur schreibt

Man kann es nicht einmal mehr Appeasement nennen, was die promovierte Koranexegetin betreibt – es ist eine Form von Kollaboration.

Denn wenn man schon nicht die gleiche, wie selbstverständlich RICHTIGE, Meinung vertritt wie Liza, hat man nicht einfach unrecht, nein, im Grunde arbeitet man dem FEIND zu. Subtilitäten sind da reine Korinthenkackerei, nuschelt sie einem ins Ohr, zumindest bei diesem Thema. Man möchte es nochmals unterstreichen. FEIND. Daß das klar ist. Der Feind ist der Feind und der muß WEG! *hust* So einfach kann die Welt gleich sein. Ach ist das lustig. Ein paar Scheiben Jingoismus, eine Messerspitze Rassismus und ein gehäufter Löffel Sexismus, fertig ist die Pampe. Na, Appetit?

Liza schließt mit einem bedauernden (und bedauernswerten) Nachsatz

Leider ist das hierzulande nicht strafbar

In ganz verzweifelten Momenten denk ich das zugegebenermaßen auch. Frau Amirpur meine ich damit aber nicht.

Islamophobie in den guten Kreisen (Update)

Der Soldat vergaß nicht zu erwähnen, daß Manöver und Rüstung entbehrlich wären, sobald die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen in allen Ländern abgeschafft wäre. “Und die Ausbeutung der Frau durch den Menschen.” sagte Beatriz. “Wie”, sagte der Soldat. Sein Unverständnis erklärte sich Beatriz mit den idealen Zuständen seiner Heimat.
(Irmtraud Morgner)

Es ist mir ein Rätsel, nicht nur mir, aber ich bin ja der mit der großen Klappe, also rede ich von mir, daß Menschen, die in bestimmten Belangen zu einer guten und kleinteiligen, sorgfältigen und ausgewogenen Analyse fähig sind, diese Fähigkeit in anderen Bereichen völlig vermissen lassen.

Ich dachte immer, es gibt sowas wie eine Fähigkeit zum kritischen Denken, die man entwickeln kann. Wenn man sie hat, wendet man sie an. Oder so. Dass ich seit einiger Zeit über die blogroll von classless kulla an den blogs verschiedener, entweder der gleichen Szene wie Kulla (ich bin mir unsicher. Ich sach mal: antideutsch. Das sind aber auch mindestens zwei verschiedene Szenen, habe ich bei der Kloppe, die Antideutsche untereinander manchmal verteilen, den Eindruck. Eine Klarstellung fänd ich hilfreich. Schreiben: mir!) oder einer ähnlichen Szene angehöriger Menschen, mitlese, desillusioniert mich da ein bißchen. Da findet man ausgezeichnete Analysen des Antisemitismus und freut sich schon und dann schlägt der Dorn-Effekt voll zu (hier im ersten Satz beschrieben.).

Denn, lo and behold, es stellt sich manchmal plötzlich heraus, daß man es mit einem islamophoben Menschen zu tun hat. Und zwar mindestens auf dem Dämlichkeitsniveau eines Herrn Broder. Aber was ist denn mit den anderen Sachen? Was ist denn plötzlich passiert? Mit einem Mal findet der bestürzte Leser Analysen auf dem Niveau einer knapp bestandenen mittleren Reife. Etwa hier, wo jemand die offensichtliche Islamhetze in den Medien so vom Tisch wischt:

Zwar mühen sich ausnahmslos alle etablierten Medien damit, den Islam vom „Islamismus“ und die (angeblich oder tatsächlich) friedlichen von den terroristischen Muslimen zu trennen; zwar beruft der Innenminister „Islam-Konferenzen“ ein, von denen dezidierte Kritiker der selbst ernannten Religion des Friedens ausgeschlossen bleiben; zwar wird allenthalben vor einem „Generalverdacht“ gegen die Anhänger des Propheten gewarnt und auf die kulturellen Leistungen des Islams hingewiesen –

Das, meine ungläubig schauenden Lieben, ist wirklich ein Argument der Autorin. Da kommt nichts mehr. That’s it. Das war’s schon. Man könnte nun glauben, gut, diese Autorin ist leider etwas oberflächlich, nicht interessiert, zum Beispiel an der Tiefenstruktur, die rassistischen Argumenten meist zugrunde liegt, etwas in der Art, bitteschön. Das hätte ich auch fast geglaubt. Aber nur wenige Zeilen später findet sich diese Bemerkung:

Rether merkte entweder gar nicht, welches antisemitische Klischee er da bediente, oder er nahm es bewusst in Kauf; die letztgenannte Möglichkeit ist bei einem, der Israel auch schon mal als „ganz normalen Apartheidstaat“ bezeichnet, zumindest nicht auszuschließen.

Ach? Auf einmal gibt es also die Möglichkeit, Klischees zu bedienen? Wohl gemerkt, Rether hat Juden nicht einmal erwähnt. Selbstverständlich hat die Autorin recht in ihrer Analyse, aber das hier ist ein völlig anderes Maß, das hier angelegt wird. Und wieso? Zeigt ihre Analyse, zum Beispiel auch in diesem völlig angebrachten Artikel, nicht, daß sie es kann? Daß sie es besser wissen müßte? Bei der Auflösung dieses Rätsels greift vielleicht ein Vorwurf, den sie dem armen dummen Kabarettisten vor seine kabarettierenden Füße wirft:

das könnte Rether wissen, wenn er es denn wissen wollte

Ja eben. Sie könnte es besser wissen und sagen. Nur mit dem wollen, da hakt es etwas. Es ist, als sei es unbewusst eine so große Überwindung, nicht antisemitisch zu sein, daß man ein Ventil braucht, um den Hass loszuwerden. Und wieso sollte das nicht der Islam sein? Den konnte man schon immer ganz gut hassen, alte Islamverunglimpfer wie Bernard Lewis, denen ihre Unwahrheiten Mal aufs Mal nachgewiesen wurden, erfreuen sich noch immer einer hohen credibility, aber versuch du mal, Weininger zu zitieren. Lewis geht immer noch runter wie Öl. Und das Beste ist, daß man sich beim Islam, im Gegensatz zum Antisemitismus, bei dem man sich zwar keine neuen Klischees ausdenken mußte, aber durchaus ‘neue’ Leute, denen man sie anhängen konnte, man konnte mit einem Mal zB nicht mehr einfach ‘der Jud’ sagen, wenn man den Jud meinte, gar nichts neues ausdenken mußte. Früher meinte man genau die gleichen Leute, die man heute meint, man verwendet exakt die gleichen Klischees, exakt die gleiche Argumentation und auf deutsch kann man auch immer noch sehr schön ‘Araber’ sagen, mit starker Betonung auf dem ersten A.

Ich würde ja sagen: whatever gets you through the day, aber traurig macht mich das schon. Wenn schon die, die eigentlich auf der ‘richtigen’ Seite stehen, dies nur deshalb machen können, weil sie mit einem Bein eigentlich noch auf der anderen Seite stehen, um dem kinderschändenden Ziegenficker einen Tritt zu verpassen, da kriegt man bloß wieder Kopfweh. Und damit schlagen wir den Bogen zum Eingangszitat aus einem Roman der großen Irmtraud Morgner. Natürlich, so stellt sich heraus, hat das Unverständnis des jungen Soldaten einen anderen Grund. An diesen Aspekt hat er nämlich gar nicht gedacht. Oder nicht auf die gleiche Art und Weise.

Übrigens. Das mag mir auffallen, weil ich gerade den prison break/doctorow artikel umgeschrieben habe (die Änderungen sind noch nicht online), aber daß die Autorin des hier zitierten blogs ausführliche Artikel über die Fußballbundesliga schreibt, ist vielleicht nur ein blöder Zufall. Hm.

Ps. Daß ich hier diese spezielle Art der selektiven Blindheit gewählt habe, heißt nicht, daß es nur die gibt, ein ganz anderes Beispiel aus einer anderen Richtung hätte ich mit Arne Hoffmann gehabt, der u.a. auch für den watchblog islamophobie schreibt, und der ganz eigene blinde Flecke entwickelt, wenn er wiederum über Antisemitismus oder Feminismus schreibt.

Nachtrag Lange bevor ich diesen post geschrieben habe, hat sich übrigens Herr Broder zu Wort gemeldet, was ich beinahe übersehen hätte (via):

“Wehe uns, wenn hier demnächst die Moscheen brennen, dann wills WIEDER keiner gewesen sein”, orakelt der Dhimmi und meldet sich freiwillig zum Dienst bei der Leibstandarte “Osama”.

Das Wort Dhimmi ist übrigens von seiner Wucht, Brutalität und Menschenverachtung heute im bürgerlich einigermaßen akzeptierten Vokabular kaum zu übertreffen. Es findet sich zum Beispiel auch unter den Fittichen von classless Kulla, bei dem Kommentare stehen wie

Deine Argumentation ist inhaltlich eher die eines Dhimmi

Dieser Kommentar, wohlgemerkt, steht unter einer simplen religionshistorischen Auslassung eines anderen Kommentierenden und wird von Kulla gebilligt, anders als das bloße Anführen von Personen übrigens, die in einem völlig anderen Bereich antisemitismusverdächtig sind. Kulla selbst schreibt über Rassismusvorwürfe etwa an Adresse der bahamas, die ich oben an einer signifikanten Stelle zitiert habe

Wenn es jemand für rassistisch hält, wenn sich zugunsten von Israel und von nicht-ethnisierten Migranten ausgesprochen wird, weiß ich auch nicht, warum ich mit ihm unbedingt diskutieren muß.

Nein, ich auch nicht. Und das ist auch nicht das Problem und das wissen wir alle. Duh.

Das schließt wieder den Kreis zum Artikel, unter dem dieser Nachtrag steht. Wäre diese Argumentationsweise an anderer Stelle, etwa bei Arne Hoffmanns Antisemitismusverteidigung, so aufgetaucht, ich glaube Kulla hätte sich (zu Recht) nicht einmal damit befaßt. Also wieso…? Wieso hält er solchen islamophoben oder zumindest antiislamischen Rassismus für eine “offene Frage”? Ich weiß es nicht. Ich weiß es einfach nicht. An der Blödheit kann es nicht liegen, blöd ist nämlich weder Kulla noch Liza. Noch Broder. Aber woher kommt das? Antworten nehme ich gerne an, obwohl zum Beispiel individualpsychologische Begründungen à la wojna (“du kommst mit deinem Leben nicht klar”) natürlich Unfug sind.